Kann man eine Institution, wie den Wochenmarkt neu erfinden? In meinem Kiez ist zwei Mal in der Woche Markt. Bäcker, Fleischer, Blumenhändler, Gemüsestände, eine Gulaschkanone, an der sich zur Mittagszeit die arbeitende Bevölkerung wegen Erbsensuppe die Beine in den Bauch steht. Der hippe Foodtruck mit Empanadas ist obligatorisch und auch die Chance auf ein heißes ‚Halbes Hähnchen‘ vom Bratwagen mit Drehspieß ergibt sich. Der Andrang ist in der Regel riesig. Werden Märkte doch durch die These gestützt, hier sei alles frisch und regional und so viel besser, als das, was ich im Supermarkt zu kaufen bekomme. Dass auch die Märkte inzwischen die gesamte Handelspalette von Südfrucht bis Mastbratwurst bedienen, hinterfragen wir in dem Moment mal nicht.
Mich zieht es weniger wegen all dem hier her, sondern wegen dem weltbesten Cappuccino am rollenden Kaffeewagen einer kleinen Rösterei aus Radebeul. (Es gibt sie hier doch, die kleinen Perlen.) Mein Gemüse hole ich dann doch lieber aus der Verbrauchergemeinschaft. Da ist es garantiert Bio und ich kann genau nachvollziehen, woher es kommt. „Und genau da liegt der Unterschied!“ Meine erste Frage an Fanny Schiehl, der Organisatorin des Marktschwärmers in Dresden, brennt mir schon lange unter den Nägeln: Was unterscheidet die Marktschwärmer von den zig Wochenmärkten in der Stadt?
Dein Markt – wie und wann du ihn brauchst
Fannys Antwort ist so klar, wie einleuchtend: „Es sind schon lange nicht mehr nur die Erzeuger, die Waren auf Märkten feilbieten. Was man kaufen kann, kommt von überall her. Von wo genau und wann, was geerntet wurde, ist für die Käufer kaum nachvollziehbar. Das ist der eine Aspekt. Der andere ist, dass viele Landwirte einfach nicht die Zeit haben, sich regelmäßig in die Stadt aufzumachen und Stände aufzubauen. Bei vielen Märkten ist das tagesfüllend und für die Meisten einfach nicht machbar. Dazu kommt noch ein dritter Punkt: Berufstätige schaffen es oft nicht, während der Marktzeit einkaufen zu gehen.“
Konzept der Marktschwärmer
Daraus ergibt sich das Marktschwärmer-Konzept: Zugelassen sind nur Landwirte und Erzeuger aus der Region. Und das nimmt man sehr ernst. Maximal 20 Kilometer legen die meisten Anbieter zurück, etwa 1/3 ist zur Zeit unseres Gesprächs Bio-zertifiziert. Ins Boot geholt hat sie alle Fanny Schiel. Als Organisatorin in Dresden schaut sie sich bei allen persönlich um und führt die Gespräche. Bio ist dabei kein Muss. „Die Biozertifizierung ist für viele ein Kraftakt, den sie nicht leisten können oder wollen. Trotzdem müssen die Produkte oder Erzeugnisse auf sehr hohem Niveau und von sehr guter Qualität sein. Ich überzeuge mich davon immer persönlich, wenn ich Gespräche aufnehme, um neue Marktschwärmer zu gewinnen.“
Ich möchte wissen, ob es schwierig sei, Anbieter von diesem neuen Konzept der Direktvermarktung zu überzeugen und für die Marktschwärmer zu gewinnen. „Ganz klar: ja! Viele verkaufen an Großabnehmer, weil sie einfach keine Zeit haben, sich um die Vermarktung im Einzelnen zu kümmern. Der Vertrieb muss für die Meisten einfach effizient von statten gehen. Obwohl sich Viele den Kontakt zur Kundschaft sehnlichst wünschen. Wenn wir sie überzeugen können, dass wir das Beides bieten – einen ressourcenschonenden Vertriebsweg und Kundennähe – haben wir gewonnen.“ Nicht Einer, der es versucht hat, sei bis jetzt wieder abgesprungen“, berichtet Fanny stolz.
Bevor sich Fanny 2016 entschied, das ihr aus Berlin sehr vertraute Marktschwärmer-Modell in ihre Heimatstadt Dresden zu bringen, hat sie Innovationsmanagement studiert. „Niemand in meinem näheren Umfeld hatte bisher davon gehört, nur in Chemnitz gab es die Marktschwärmer, die damals noch unter dem Namen „Food Assembly“ liefen, schon. Richtig Schwung in die Sache brachte ein Beitrag in der Bauernzeitung“, erklärt Fanny, die das Franchaise-Business in dieser Phase nebenbei hochzog. Mit einer Hand voll Erzeuger und einer riesigen Lücke im Sortiment ging es dann in der Friedrichstadt los. Der „riesa efau“, ein Kunst- und Kulturverein, bot im Stadtteil die passenden räumlichen und ideellen Bedingungen.
Im Sommer holen die Kunden ihre vorher online bestellten Waren an den Ständen im Freien ab. Im Winter gibt’s hier auch ein Dach über dem Kopf. Spontankäufe sind am Markttag, immer Donnerstags ab 17 Uhr, nicht möglich. Nur bestellte Waren werden ausgeliefert. Das garantiert Frische und gibt den Anbietern Planungssicherheit. „Was gekauft werden kann, finden die Kunden im Online-Katalog, der jede Woche neu erstellt wird. Hier tragen die Landwirte zum Beispiel genau ein, wie viel Salat, oder wie viel Käse verkauft werden kann. Geerntet wird am Markttag eben genau die Menge, die bestellt wurde,“ so Fanny. Ein praktisches System. Aber genau das stellt für Kunden, wie Anbieter eine Hürde dar. Landwirten fehlt die Zeit, sich ins System zu fuchsen und Woche für Woche alle Produkte einzustellen. Kunden, vor allem älteren Semesters, fehlt nicht selten die Nähe zum neuen Medium. Denn neben dem Umgang mit dem Internet, müssen Kunden auch in der Lage sein, online zu bezahlen. Vor Ort läuft alles Bargeldlos. Beides sind Baustellen, an denen Fanny ackert.
Marktschwärmer Dresden
Trotz aller Hürden: Dass ursprünglich aus Frankreich stammende Konzept geht auf. Zum Zeitpunkt unseres Gespräches hatten sich 2000 Mitglieder über die Plattform angemeldet. „Rund ein Drittel davon zählen zu den aktiven Markt-Nutzern. Die können aus über 400 Produkten von 20 Anbietern wählen,“ weiß Fanny. Wer selbst nicht vorbeikommen kann, lässt liefern. Nach einer Testphase mit Lastenrad, nutzt Fanny nun ein Teilauto, vom hiesigen Carsharer. Für einen moderaten Aufpreis fährt sie die Waren im Stadtgebiet breit.
Die Dresdner Marktschwärmer haben so eingeschlagen, dass vor einigen Monaten ein zweiter Markt im Stadtteil Striesen eröffnet wurde. Dort will sich Fanny vor allem auch das ältere Publikum erschließen.
Wer selber Lust hat, aktiver Teil dieser Familie zu sein, ist herzlich eingeladen, zum Marktschwärmen. Und mehr als das. Fanny ermuntert, das Konzept in der eigenen Stadt aufzubauen. Mit Mädels, die das gerade in Pirna und Leipzig tun, steht sie in engem Austausch. Also: Ausschwärmen und mitmachen. Wir finden’s klasse!
Wer steckt hinter den Marktschwärmern?
Noch ganz kurz zum Hintergrund: Gegründet 2010, unter dem Namen Food Assembly, ging es den Gründern darum, nachhaltiges Konsumverhalten zu unterstützen und Wirtschaften zu fördern, das mehr Partizipation aller Beteiligten erlaubt. Jeder Einzelne solle sich so am Erhalt der biologischen Vielfalt, regionaler und gesunder Esskultur beteiligen können. Im September 2011 ging es in Toulouse los. Innerhalb der folgenden vier Jahre entstanden in Frankreich 700 weitere Schwärmereien – immer autonom von einem Gastgeber organisiert. Zwei Jahre später wurden die Fühler europaweit ausgestreckt. Seit 2018 gibt es in Deutschland 45 Marktschwärmer-Orte.
Marktschwärmer – So funktionierts:
- Kunden kaufen online aus dem wöchentlich neu erstellten Katalog: Obst und Gemüse, Käse, Fleisch, Brot, Getränke und noch viel mehr, das Ganze ist flexibel, Mitgliedsbeitrag oder Mindestbestellwert gibt es nicht
- gezahlt wird online
- Die bestellten Waren werden am Markttag in der nächsten Schwärmerei abgeholt, wer möchte, kann dabei die Erzeuger persönlich kennenlernen, oder auch nur ganz anonym seine schon gepackte Kiste abholen
- der Gastgeber von Marktschwärmer ist der Ansprechpartner für Kunden und Anbieter, bezahlt wird der Gastgeber über eine von den Anbietern zu entrichtende Provision