Babynahrung und spezielle Nahrungsmittel für Kinder halten nicht, was ihr Etikett verspricht? Anja Bohländer, Expertin in Sachen Kinderernährung warnt vor dreisten Werbelügen der Industrie, die so mit der Gesundheit der Allerkleinsten spielt. Livona befragte die Sozialwissenschaftlerin nach den Alternativen und nach der richtigen Kost für den Nachwuchs.
Frau Bohländer, die Verbraucher sind gefordert: Angesichts einer Flut von Angeboten, Produkten und Ratschlägen für Ihr Kind, wird es immer schwieriger, das „Richtige“ zu tun. Vielleicht sollte man sich erst einmal grundsätzlich darüber im Klaren sein: Was ist das Besondere an der Ernährung von Kindern und vor allem Babys bzw. woran liegt der Unterschied zu den Ernährungsgewohnheiten von Erwachsenen? Welche Risiken gibt es und was sollten junge Eltern auf jeden Fall wissen?
Anja Bohländer: Gerade in der Schwangerschaft, der Stillzeit und im ersten Lebensjahr ist es besonders wichtig, auf die Ernährung zu achten, da in diesen Phasen die Grundlagen für das spätere Ernährungsverhalten gelegt werden. Die Kinderernährung braucht keine speziellen Produkte, sondern ganz natürliche, frische Lebensmittel. Viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte sowie Hülsenfrüchte und das nach einer Phase der Eingewöhnung von Anfang an. Meist fehlt dies allerdings bereits in der Ernährung der schwangeren Frau bzw. stillenden Mutter. Das heißt, bereits die Mutter sollte ihr eigenes Ernährungsverhalten überdenken. Das Risiko ist groß, dass Schwangere, die häufig industriell verarbeitete Waren essen, später auch gern zu Gläschen und Co. in der Babyernährung greifen. Dabei kann gerade im ersten Lebensjahr auf ganz einfache Weise selbst gekocht werden. Diese Phase ist ideal, um Schritt für Schritt, beginnend bei dem ersten Gemüse für den ersten Brei, frische Waren kennenzulernen, einzukaufen und zu verarbeiten – ganz ohne weitere Zusätze.
Das Sortiment an Fertigprodukten für Babys und Kinder ist, auch im Bio-Bereich, kaum noch überschaubar. Wie ordnen Sie als Expertin diese Produkte ein? Vor gewissen Nahrungsergänzungsmitteln haben Sie in Ihrem Beitrag zur neuen EU-Verordnung zum Schutz der Verbraucher ja schon gewarnt. Fällen Sie pauschal ein abwertendes Urteil oder gibt es Produkte aus dem Convenience-Bereich, die Sie guten Gewissens empfehlen können?
Anja Bohländer: Appetitstimulatoren finden sich in den meisten Fabriknahrungsmitteln. Spezielle Kinderprodukte, die von den Lebensmittelherstellern gezielt vermarktet werden, sind fast alle ernährungsphysiologisch minderwertig. Aromen, Zucker, Fette und zahlreiche Zusätze machen diese Produkte höchst problematisch. Sie finden sich auch in fast allen verarbeiteten Milchprodukten. Selbst industriellen Bäckerwaren sind meist enzymatisch aufbereitete Fertigmischungen mit Farbstoffen, um den Vollkorncharakter zu imitieren, zugesetzt. Durch den hohen Verarbeitungsgrad der Fertigwaren gehen die meisten natürlichen Vitalstoffe verloren. Durch Beimischungen von Vitaminen und Zusatzstoffen wird das Produkt im Nachhinein künstlich wieder aufgepeppt. Das ist billig und massenfähig. Fabriknahrung ist also in der Tat mit Vorsicht zu genießen, mag sie auch noch so attraktiv aussehen. Ich rate also grundsätzlich von Convenience-Produkten ab. Selbst „Bio“ allein ist kein Garant für gesunde Lebensmittel. Eine Bio-Tütensuppe, oder mit Rohrzucker und Bio-Schokolade zugesetzte Müsli, schonen immerhin die Umwelt, nicht aber ihre Gesundheit. Es empfiehlt sich, so oft es geht, frische, unverarbeitete Bio-Waren zu kaufen und selbst zuzubereiten. Was im Übrigen leichter ist, als mancher denkt. Zugesetzte Vitamine und Mineralstoffe braucht niemand. Beißen Sie in einen Apfel, essen Sie Vollkornbrot und genießen Sie wieder echte Lebensmittel!
Sie geben Kurse zu Ernähungsgrundlagen in der Schwangerschaft und Stillzeit und zur Umstellung auf Baby-Beikost. Auf was für Gewohnheiten und Meinungen stoßen Sie in Ihrer täglichen Praxis? Kommen die Eltern schon mit einem gewissen Gespür, was für Ihr Kind gut ist, zu Ihnen?
Anja Bohländer: Was mir am Meisten auffällt, ist die starke Verunsicherung der Eltern. Sie setzen sich häufig zum ersten Mal intensiv mit dem Thema Ernährung auseinander. Die Informationsflut ist allerdings so gewaltig, dass sich Eltern überfordert fühlen und zur Sicherheit lieber doch zu den geprüften standardisierten Fertigprodukten greifen. Und statt sich mit frischen Waren auseinanderzusetzen, wird nun das Bio-Gläschen gekauft, dessen hohe Qualität der Zutaten durch ultraintensive Verarbeitung und Erhitzung leider stark gemindert wird. Die Gewöhnung an Fertignahrung vom ersten Löffel an nimmt so ihren Lauf. Bald schon wird diese zum Standard. Es ist also wichtig, dauerhaft Kompetenz zu gewinnen, um souverän durch den Ernährungsdschungel zu kommen. Erst dann kann man getrost all die Werbeslogans ignorieren. Der Kalziumanteil durch Milchpulverbeigaben macht Lebensmittel nicht gesünder, mag die Verpackung auch noch so verheißungsvoll aussehen! Pauschal kann man sagen: Außen hui und innen pfui. Vitamine aus echtem Obst und Vitalstoffe aus echtem Gemüse sind viel mehr Wert und dabei sogar viel günstiger als eine Ernährung durch Fertigwaren.
Schwangere wiederum haben leider nur im Blick, was sie aus Gründen der Infektionsgefahr meiden sollen, nicht aber was sie zu sich nehmen sollten, um sich ausgewogen und gesund zu ernähren. Des Weiteren ist vielen unklar, dass im Mutterleib als auch in der Stillzeit der Geschmack der Kinder geprägt wird. Spätere Probleme in der Brei- und Beikost können hier bereits ihren Ursprung haben – und sind damit nur schwer änderbar.
Was raten Sie Eltern, die keine Idealbedingungen mitbringen, sprich wenig Zeit haben, immer alles selbst zu kochen oder das auch nicht wollen. Was können diejenigen tun, bei denen das Geld knapp ist und die sich nicht ausschließlich mit den doch oft preisintensiveren Bio-Lebensmitteln versorgen können oder wollen. Gibt es schnelle, preisgünstige Alternativen?
Anja Bohländer: Das Effizienzproblem lässt sich in der Breiphase ganz einfach durch Einfrosten lösen. Vorgekochte Breie ohne Fett in Eiswürfelbehältern einfrosten, ausploppen und so in perfekter Portionsgröße in Gefriertüten bevorraten. So kann man ganz leicht variable Menüs bereit halten. Schwangere sollten in der Tat den Aufwand aufbringen, eine eigene Lunch-Box ins Büro mitzunehmen und das Kantinenessen ignorieren. Am Abend zuvor ist bei etwas Organisation alles fix gemacht. Essen Sie nicht nach dem Grundsatz „hauptsache schnell satt“, sondern danach, was gut ist. Gerade im Sommer ist das Angebot ja hervorragend! Aber auch im Winter lassen sich leckere Menüs ohne viel Aufwand zu bereiten. Keineswegs muss das die gute deutsche Schnitte sein. Ein Hirse-Salat oder mühelos im Ofen gebackene Kürbisecken sind köstliche Büro-Mahlzeiten! Ob schwanger, stillend oder für das Baby, für alle gilt: trinken sie schlichtes Leitungswasser.
Anja Bohländer ist Inhaberin von Biosmeks und selbst Mutter eines anderthalbjährigen Sohnes. Biosmeks bietet Workshops für die Ernährung in der Schwangerschaft, der Stillzeit sowie für die Umstellung auf den ersten Brei und die Ernährungsentwicklung im ersten Lebensjahr.
Für eine gesunde Ernährung von Anfang an – souverän und alltagstauglich.
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Herzlichen Dank für das Gespräch!