Der Sonntag, an dem wir nach der „Next Organic Messe“ zur Tempelhofer Freiheit spazieren ist verregnet. Trotzdem zieht ein beachtlicher Tross Menschen gemächlich übers Feld von Berlins größter „Parkanlage“. Bunte Luftballons mit dem Leitspruch „100 % Tempelhofer Feld“ bringen nicht nur Farbe ins graue Nass, sondern auch Licht ins Dunkel. Wir werden Zaungäste einer der zahlreichen Aktionen, die Zeichen des Volksbegehrens der Berliner gegen die Pläne des Senats, das Gelände des ehemaligen Flughafens zu bebauen, sind.
Wiesenmeere und Gemeinschaftsgärten in der Großstadt
Die Berliner haben in den letzten Jahren etwas für sich entdeckt: ein fast 400 ha großes Wiesenmeer und eine Steppenlandschaft, die als kulturhistorisches Zeugnis der Hauptstadt und als Siedlungsgebiet von Tieren und Pflanzen in der Stadt schützenswert vor privaten Interessen ist. Auch wir waren beeindruckt, welche Weite sich nach der Umquerung des gigantischen Gebäudeensembles vor uns auftat. Mitten in der Großstadt. Endlose Wiesen, am Horizont ringsum die Stadtsilhouette. Wildnis mit U-Bahnanschluss.
Nachdem 2008 der Flugbetrieb ganz eingestellt worden ist, war das ehemalige Flugfeld 2010 für Jedermann geöffnet worden und seitdem genießen die Berliner vor allem die Weite inmitten der Stadt. Geplant als Übergansgstadium haben in kürzester Zeit viele Projekte den Platz für sich vereinnahmt. So ist unter dem Titel „Allmende-Kontor“ eine Adresse für gemeinsame urbane Landwirtschaft – Stadtäcker – entstanden. Hier machen sich vor allem Aktivisten aus der Gemeinschaftsgartenszene auf 5000qm Fläche breit und zahlen jährlich 1 Euro pro Quadratmeter Nutzungsgebühren. Da sind Mitnutzer –inzwischen sind es schon einige 100 – natürlich herzlich willkommen. Da gerade diese Initiativen hohe Wellen geschlagen und ihren Teil zur medialen Präsenz der Tempelhofer Freiheit geleistet haben, interessierten uns diese Schaugärten besonders. Wir schieben es auf die diesjährige Wetterlage, dass sich uns ein ernüchternder Anblick bot. Für Ende Mai gaben sich die selbstgezimmerten Hochbeete leider trostlos und verweist. Die Projekte sind noch jung und klar, innerhalb von zwei Jahren lässt sich nur schwer eine vorzeigbare Gartenlandschaft aus dem Ärmel schütteln. Aber ganz so morbide und charakterschwach hatten wir es nun doch nicht erwartet. Das jederzeit Schluss ein könnte, ist ein Fakt, der im Hinterhalt lauert und zu große Investitionen wohl in Frage stellt.
Aktualisierung 01-2018:
In der Zwischenzeit hat sich auch diesbezürlich einiges getan. Unter gruen-berlin.de wurden viele grüne Projekte in Berlin gebündelt. Dort findet Ihr eine Vielzahl an Inforamtionen auch aktuelle zum Tempelhofer Feld.
Was wird aus der Tempelhofer Freiheit?
Der Berliner Senat möchte das Gelände vor allem an den Randlagen großflächig bebauen. Neben einem Innovationspark sind Wohnquartiere und ein neuer S-Bahnhof geplant. Da aber zur Zeit noch die Pläne privater Investoren und die der Stadt miteinander kollidieren, liegt ein strukturierter Masterplan noch nicht vor.
Die Berliner wollen das Feld in seiner ganzen Größe erhalten und gründeten 2011 die Initiative 100 % Tempelhofer Feld. Ein Volksentscheid soll nun die Bebauungspläne kippen. Die Eigenart der Landschaft sei nicht zuletzt wegen seiner Bedeutung für das Luftklima der Stadt in seiner jetzigen Erscheinung schützenswert. Auch als Ort des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus zeichne sich die historische Städte aus. Diese Argumente sind nicht von der Hand zu weisen, doch genau so „natürlich“ – ohne zu pauschalisieren – sind die volkswirtschaftlichen Interessen einer Großstadt, deren Entscheidungsträger das Wohl der Bevölkerung unter den verschiedensten Gesichtspunkten abwägen müssen. Ein Richtig oder Falsch wird sich wohl nicht feststellen lassen. Trotzdem ist es bewundernswert zu sehen, was in einer Stadt noch möglich ist: ökologisch, sozial und gemessen am kreativen Potential.
Deshalb war der Veranstaltungsort für die Plattform „Next Organic“ punktgenau gewählt. Die Bio-Messe, die so oder so keine sein will, weil sich die Protagonisten nicht damit zufrieden geben wollen, sich nur zu präsentieren und wo die Kreativität und Wahrhaftigkeit im Mittelpunkt stehen, ist uns in angenehmer Erinnerung geblieben. So soll dazu nicht das letzte Wort geschrieben worden sein.