Vor 10.000 bis 15.000 Jahren fingen Menschen an, Pflanzen gezielt für ihre Nahrung zu selektieren und anzubauen. Tausende von Menschengenerationen schufen in Kooperation mit den Pflanzen weltweit eine beinahe unendlich reiche Pflanzenvielfalt, so dass sie selbst in unwirtlichen Regionen ihr Überleben sichern konnten. Der enorme Sortenreichtum entstand in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und den Gärten der Menschen. Es mutet vielen Nutzpflanzenerhaltern und engagierten Verbrauchern seltsam an, dass nun einzelne Firmen Patente auf ein gemeinsam geschaffenes Kulturgut anmelden. Dieses Kulturgut Sortenvielfalt ist unsere Grundlage zum Überleben wie die Luft zum Atmen und darf nicht privatisiert werden.
Nutzpflanzenvielfalt geht verloren
Heute ist über 70 Prozent dieser Nutzpflanzenvielfalt verloren gegangen. Verantwortlich für diese genetische Erosion sind veränderte Lebensgewohnheiten und die zunehmende Konzentration auf wenige, der industriellen Landwirtschaft angepasste Hybriden. Diese unterscheiden sich kaum noch voneinander und sind zunehmend auf den Einsatz von teuren Dünge- sowie Pflanzenschutzmittel angewiesen.
Traditionell gezüchtete Landsorten bringen zwar keine Rekordernten, doch sie haben andere Vorzüge. Der Anbau und die Weiterentwicklung traditioneller Nutzpflanzen können mit viel weniger Aufwand eine gute Ernte und existenziellen Wohlstand für alle bringen, ohne dabei auf moderne Technik verzichten zu müssen. Durch ihre breite genetische Ausstattung können sie sich viel besser an klimatische Änderungen, lokale Standortbedingungen anpassen und Krankheiten und Schädlinge abwehren, als wenige, genormte Zuchtlinien.
Traditionelle Kulturpflanzen überzeugen durch ihre Vielfalt
Nachdem viele unserer Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Stockwechselstörungen, Herz- Kreislaufbeschwerden und Depressionen zumeist aus unserem Überfluss resultieren, stellt sich die Frage, ob der Verzicht auf Rekordernten und Produktionsüberschüsse wirklich eine verminderte Lebensqualität darstellt. Traditionelle Kulturpflanzen überzeugen mit ihren unterschiedlichen guten Geschmack, ihr teilweise ungewöhnliches Aussehen, ihre unterschiedlichen Erntezeitpunkte, und ihren versteckten genetischen Eigenschaften wie Anpassungsfähigkeit und Krankheitsresistenz. Nicht umsonst suchen die großen Pflanzenzüchter nach seltenen Landsorten, um resistente Sorten daraus zu entwickeln.
Moderne Hybridsorten können nicht zur Weiterzüchtung verwendet werden. Die Zuchtlinien, aus denen sie gekreuzt werden, sind Betriebsgeheimnis. Schließlich sind diese Forschung und die Prüfungen für Marktzulassung und Sortenschutz (einer Art Patent) mit enormen Kosten verbunden. Es ist allerdings fraglich, ob solche Pflanzen nach ein paar Jahren kurzfristigen Gewinnes einen langfristigen Nutzen bringen, denn Schädlingen und Krankheiten können sie nicht lange widerstehen.
Auch im Bioanbau kommen Hybridsorten zum Einsatz
Selbst im Bioanbau werden größtenteils Hybridsorten angebaut, weil viele Ökoprodukte sonst noch teurer wären. Auch wurden samenfeste Sorten, die Bauern und Gärtner selbst vermehren können, systematisch vom Markt genommen.
Es liegt nahe, dass die Weiterentwicklung einer breit angelegten Kulturpflanzenvielfalt und von die Natur schonenden Anbaumethoden für den großflächigen Anbau, aber auch für die kleinteilige Landwirtschaft unterstützt werden muss. Die massiven Subventionen an die industrielle Landwirtschaft müssen hingegen gestrichen werden ebenso wie viel zu laxe Regelungen für die Agrarchemie. Natur und Klima dürfen nicht länger zerstört werden, um für die Industrieländer billige Nahrungsmittel zu erzeugen.
Mehr denn je ist es wichtig, Sorten zu entwickeln, die mit den sich massiv veränderten Klimabedingungen und deren Folgen zurechtkommen. Die Forschung im Großen wie im Kleinen muss finanziell gewürdigt werden.
öffentliches Bewusstsein für historische Sorten stärken
In den letzten Jahren rücken seltene Sorten von Kulturpflanzen wie Tomaten, Paprika, Chili, Gurken, Bohnen und historische Obstsorten glücklicherweise immer mehr in das öffentliche Bewusstsein. Fast überall ist das Gemüsesortiment in den Hausgärten bunter und aromatischer geworden. In der Sterneküche haben seltene Tomatensorten und deren unzählige kulinarische Variationen längst Einzug gehalten. Dieser Reichtum ist zahlreichen engagierten Pflanzenliebhabern, Gemüsegärtnern und Erhaltern zu verdanken. Am größten ist die Sortenvielfalt in Hausgärten, Schaugärten sowie auf den Flächen von Erhaltungsorganisationen wie dem Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt, Freie Saaten, Dreschflegel und anderen.
Auch der Staat und die Bundesländer finden zunehmend daran Gefallen, Biodiversität als politisches Ziel hervorzuheben. Viele Erhaltungsinitiativen wie der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN), der Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt oder private Sammler haben weder finanzielle noch staatliche Unterstützung. Doch werden gerade die engagierten Nutzpflanzenerhalter in ihrer Arbeit durch bürokratische Auflagen wie der EU- Erhaltungssortenverordnung (siehe:www.gesetze-im-internet.de/erhaltungsv/index.html ) blockiert.
Saatgutverkehrsgesetz schützt Hausgärtner nicht
Das Saatgutverkehrsgesetz macht für professionelle Anbauer einen Sinn, sich vor schlechter Saatgutqualität (Verkreuzungen, samenbürtige Krankheiten) und den daraus resultierenden Folgen von Ernteeinbußen zu schützen. Für die Hausgärtner bringt diese Verordnung keinen Schutz. Mit dem Kauf eines Saatgutpäckchens haben sie ein relativ geringes finanzielles Risiko. „Die Menschen sind aufgrund einer guten Beratung und den Vorzügen der seltenen Sorten an sich überzeugt und brauchen keinen bürokratischen Überbau. Ernährungs- und umweltbewusste Verbraucher wollen heute wieder Vielfalt im Garten und auf dem Teller haben.“ (Zitat Dr. Susanne Gura: Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt ( VEN ) Und sie sind auch bereit, für diese Qualität zu bezahlen.
Es wäre für Mensch und Natur sehr schade, wenn diese hoffnungsvolle Entwicklung durch Bürokratie, Lobbyarbeit oder wirtschaftliches Gewinnstreben im Keim erstickt wird.
Wir danken Melanie Grabner für ihren Gastbeitrag. Die Gärtnerin und Autorin sammelt und vermehr seit vielen Jahren unzählige Sorten alter und seltener Nutz- und Zierpflanzen. Die Liste bestellbarer Samen und weitere nützliche Tipps stehen unter www.lilatomate.de zum Download zur Verfügung.