Es treibt ihn um, den Stadtmenschen: Obwohl Städte immer weiter wachsen und zu Megacities werden, sind sie längst keine Gemeinschaften der erzwungenen Massenunterbringung mehr. (Schon jetzt lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in urbanen Räumen.) Städte sollen lebenswerten, grüner und zu bewusst gestaltetem Lebensraum werden, in dem man sich erholen möchte vom hektischen Treiben – und sei es auf zwei Quadratmetern.
Lebenstile werden hinterfragt. Massenprozesse und passive Teilhabe am großen Ganzen kritisiert. Die ständige Präsenz von Masse in all ihren Ausprägungen, ihren Kommunikations- und Warenstömen, wird als erdrückend empfunden. Der Mensch heute weiß, dass er sich ständig bewusst oder unbewusst schuldig macht: beim Kauf von Tomaten aus andalusischen Plastegewächshäusern oder beim Tragen eines billigen T-Shirts.
In natürliche Prozesse eingreifen
Zwei daraus resultierende Entwicklungen lassen sich beobachten: die Menschen ziehen sich zurück in private Oasen, die sie kreativ gestalten und gleichzeitig wollen viele wieder mehr Teil lebensnotwendiger Prozesse werden. Das Abgeschnittensein von Produktionsabläufen und natürlichen Zyklen wird dem Städter suspekt. Das grundsätzlich Menschliche hält wieder Einzug in den Alltag. Gärtnern gilt nicht mehr als konservativ und spießig.
Vom „Cocooning“ spricht die Soziologie schon lange, inzwischen sind Schlagworte wie „Urban Gardening“ oder „Guerilla Gardening“ angesagt, die der städtischen Gärtnerei gar keine Zeit lassen wollen, wieder als kleinbürgerlich zu gelten und die urbane Grünfläche schnurstraks zum Politikum erklären. „Radieschen in der Hallenser Fußgängerzone anzupflanzen macht nur dann Sinn, wenn es politisch gemeint ist, oder zumindest Kunst im öffentlichen Raum darstellt, zumindest müssen es alte unbekannte Sorten sein und dann bitte auch gut beschriften und präzise erklären“, äußerte Martin Rasper unlängst in einem Radiointerview und erklärte die Nutzpflanze damit doch ein wenig zum städtischen Alien. Oder hält er den Menschen einfach für unbegabt, die Nutzpflanzen als solche zu erkennen? Wie dem auch sei, sein Buch gestattet einen wunderbaren Blick hinter Großstadtmauern und hinauf auf Dachterassen, wo, wie im Prinzessinnengarten in Berlin Kreuzberg, faszinierende Kleinode in der Hand von jungen Enthusiasten oder auch nur ganz normalen Stadtmenschen, wie Du und ich, entstanden sind. Und immerhin: Erfolgsautor und Großstadtnomade Wladimir Kaminer schreber-gärtnert schon seit einigen Jahren. Als Schriftsteller hat er das Glück, es im Zweifelsfall zur Kunst erklären zu können.
Rasper, Martin: „Vom Gärtnern in der Stadt: Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt„, erschienen im Oekom Verlag (27. Februar 2012), 19,95 Euro